Consensus-Bericht Kolorektalkarzinom

3. Screening, Früherkennung, Primär- und Sekundärprävention

Koordination:
G. R. Jatzko, St. Veit/Glan
M. G. Smola, Graz

Unter Mitarbeit von:
P. Ferenci, Wien
G. Judmaier, Salzburg
J. Karner-Hanusch, Wien
H. J. Sames, St. Veit/Glan
C. Sebesta, Wien
G. Szinicz, Bregenz
M. Wunderlich, Hollabrunn

Problemstellung

Vor dem Hintergrund der steigenden Inzidenz und der Häufigkeit des kolorektalen Karzioms in Österreich gewinnen primär- und sekundärpräventive Maßnahmen, hier speziell über die Identifizierung von Hochrisikogruppen, zunehmende medizinische und gesundheitspolitische Bedeutung. Die Heilungschancen hängen ganz wesentlich vom Stadium zum Zeitpunkt der Operation ab. Da gerade das kolorektale Karzinom in seinem frühen Stadium eine ausgezeichnete Prognose hat, ist unbedingt eine frühe Diagnose anzustreben. Die Früherkennung ist mit einer enormen Senkung der erkrankungsbezogenen Sterberate verbunden. Abgesehen von den Risikogruppen sollte für die Gesamtbevölkerung ein vernünftiges, volkswirtschaftlich vertretbares und vom Patienten akzeptiertes Vorsorgeprogramm entwickelt und auch umgesetzt werden.

Einleitung

Das Bestreben, das kolorektale Karzinom frühzeitig zu erkennen und damit eine effektive Prophylaxe betreiben zu können, ist in der Gastroenterologie schon sehr alt. 1977 wurde bereits die Stuhltestung auf okkultes Blut in den Katalog der gesetzlichen Früherkennungsmaßnahmen in Deutschland aufgenommen. Vor dem Hintergrund der steigenden Inzidenz des kolorektalen Karzinoms in Österreich gewinnt die Früherkennung zunehmende Bedeutung. Die frühzeitige Entdeckung kolorektaler Karzinome durch die hohe Sensitivität der Kolonoskopie und der Doppelkontrast-Irrigoskopie ist mit einer enormen Senkung der erkrankungsbezogenen Sterberate verbunden und führt zur Diskussion von Screeningprogrammen (Kosten-Nutzen-Faktor). Abgesehen von den Risikogruppen (siehe unten) muß somit für die Gesamtbevölkerung ein vernünftiges, volkswirtschaftlich vertretbares und vom Patienten akzepiertes Vorsorgeprogramm entwickelt werden. Zusätzlich können benigne adenomatöse Polypen und solche mit schwerer Dysplasie (Karzinoma in situ) entdeckt werden, deren endoskopische Entfernung als echte Sekundärprophylaxe angesehen werden muß. Die Untersuchungsabfolge der unauffälligen (symptomlosen) Normalbevölkerung unterscheidet sich von der Bevölkerungsgruppe mit hohem Risiko.

Signifikanz

Das kolorektale Karzinom stellt die zweithäufigste karzinombedingte Todesursache in Österreich dar. Die Häufigkeit nahm im Zeitraum 1983 – 1992 um 3,8% zu, während sich die Sterberate mit 5,5% rückläufig darstellte. Die Häufigkeit war bei Männern mit plus 11,8% zunehmend, während diese bei Frauen mit minus 5,7% rückläufig war. Altersspezifische Häufigkeit und Sterberaten zeigen, daß die meisten Fälle nach dem 50. Lebensjahr diagnostiziert werden (s. Kap. 1 ACO-Bulletin 1995).

Risikogruppen

Es gibt Gruppen mit einer hohen Inzidenz an kolorektalen Karzinomen. Diese beinhalten hereditäre Bedingungen, wie die familiäre adenomatöse Polyposis, das hereditäre, nicht polypöse kolorektale Karzinom (Lynch-Syndrom I+II), das familiäre Krebssyndrom (autosomal dominant), das heriditäre Kolonkarzinom und die ulzeröse Colitis. Zusammen stellen diese ca. 6% der kolorektalen Karzinome. Häufigere Bedingungen mit einem erhöhtem Risiko inkludieren: eine persönliche Anamnese eines kolorektalen Karzinoms oder Adenoms, eine positive Familien-Anamnese mit Kolorektalkarzinom oder Adenom und eine persönliche Anamnese mit Ovar-, Endometrium- oder Brustkarzinom. Diese Hoch-Risikogruppen stehen für 23% aller kolorektalen Karzinome. Gesunde Personen mit einem derartigen Risiko sollten gestaffelt nach unterschiedlichen Risken in ein Vorsorgeprogramm aufgenommen werden. Eine Limitierung von Screening-Überlegungen auf diese Hoch-Risikogruppen würde aber den Großteil der auftretenden Karzinome der möglichen Früherkennung entziehen.

Screening

Screening bedeutet die serienmäßige Untersuchung der Bevölkerung, die bis zu diesem Zeitpunkt keine Symptome zeigte. Ziel des Screening ist, Karzinome in einem Frühstadium zu entdecken, sodaß die notwendige Behandlung effektiver ist, und die Sterberate in Summe reduziert werden kann. Derzeit besteht keine eindeutige Klarheit darüber, ob das Screening des Kolorektalkarzinoms empfohlen werden soll (problematischer Kosten Nutzen Faktor).

Screening für die Normalbevölkerung
Im allgemeinen kann eine jährliche Occultblutuntersuchung des Stuhls, eine jährliche digital rektale Untersuchung und eine Sigmoideoskopie, besser Koloskopie alle 3-5 Jahre, beginnend ab dem 40. Lebensjahr als ausreichend erachtet werden.

Digital rektale Untersuchung
Diese Untersuchung sollte unabdingbarer Bestandteil einer jährlichen Vorsorgeuntersuchung (Gesundenuntersuchung der GKK) sein. Neben tiefsitzenden Rektumkarzinomen können Anal- und Prostatakarzinome diagnostiziert werden. Die Sensitivität der rektalen Digitaluntersuchung ist durch den auffallenden Proximaltrend in der Lokalisation kolorektaler Karzinome etwas zurückgegangen.

Occultbluttest
Diesen Tests gemeinsam ist der indirekte Nachweis von Hämoglobin durch die Bestimmung der Peroxidaseaktivität oder der direkte Nachweis von Hämoglobin.
In großen Studien lag der Prozentsatz positiver Tests zwischen 2,3% und 4,6% und die diagnostische Trefferquote zwischen 4,7% und 17,7% bei einer Patientencompliance zwischen 20% und 74%. In einigen (nicht in allen) großangelegten prospektiven Studien konnte durch das Screening auf der Basis des Occultbluttestes eine Verminderung der Sterblichkeit bei kolorektalen Karzinomen festgestellt werden. Die Sensitivität und Spezifität dieses Tests ist als gering einzustufen.

Rektosigmoideoskopiebzw. Koloskopie
Bei der Aufnahme dieser doch relativ teuren Untersuchungsmethode in ein Screeningprogramm können asymptomatische Karzinome und Polypen diagnostiziert werden. Durch eine Rektosigmoideoskopie können nicht ganz 2/3 aller Polypen und Karzinome diagnostiziert werden. Jeder Patient, bei welchem ein pathologischer Befund (Karzinom, Adenom) bei der Sigmoideoskopie gefunden wurde, bedarf einer totalen Koloskopie. Patienten mit präkanzerösen Läsionen fallen als Risikogruppe aus dem normalen Screeningprogramm heraus. Bei Feststellen eines Adenoms sind diese Untersuchungen selbstverständlich die Verfahren erster Wahl zu deren Abtragung.

Doppelkontrastirrigoskopie
Bei positiven Occultbluttest ist die Kolonoskopie sicher der verläßlichste Weg, Adenome oder Karzinome auszuschließen. Aus technischen Gründen (Nichterreichen des Coecum), aus patientenbezogenen (Schmerzen) und aus Kostengründen (s. Tab. Kassentarife) ist die Doppelkontrastirrigoskopie fallweise als Erstuntersuchung oder als wichtige Ergänzungsuntersuchung anzubieten bzw. durchzuführen. Letzere zeigt allerdings im Vergleich zur Koloskopie eine wesentlich schlechtere Trefferquote und ist im Bereich des Rektums nicht immer verläßlich.

Screening von Hochrisikogruppen

Gruppen mit einem erhöhten Dickdarmkarzinom-Risiko

1. Hohes Risiko (100%):
Familiäre adenomatöse Polypose (FAP, inklusive Gardner-Syndrom und Turcotte-Syndrom): Diese Patientengruppe sollte bereits ab dem 15. Lebensjahr regelmäßig in 1-2jährigen Abständen endoskopisch überwacht werden. Das individuelle Risiko von Verwandten dieser Patienten wird in Kürze durch eine genetische Screening-Untersuchung ermittelt werden können. Falls eine Vererbung des entsprechenden Gens (APC-Gen) ausgeschlossen werden kann, ist dann eine so intensive Überwachung nicht erforderlich. Üblicherweise werden diese Patienten heute mit einer Proktokolektomie mit ileoanalem Dünndarmpouch kontinenzerhaltend operiert. Bei Erhalt des Rektums sind lebenslänglich halbjährige Rektoskopien mit Schlingenabtragung oder auch Elektrofulguration neuauftretender Polypen zu fordern.

Hereditäres, nicht polypöses kolorektales Karzinom (Lynch Syndrom I+II): Da das Karzinomrisiko erst in einem späteren Alter ( ca. 40. Lj) auftritt, kann bei Verwandten dieser Patienten eine Vorsorgeuntersuchung durch endoskopische Überwachung (Kolonoskopie) alle 2-3 Jahre nach dem 35. Lebensjahr begonnen werden.

2. Hohes Risiko
Positive Familienanamnese: Diese Gruppe beinhaltet Personen mit Anamnese eines kolorektalen Karzinoms, Verwandte I. Grades von Kolonkarzinom-Patienten vor dem 70. Lebensjahr. Eine weitere Steigerung des Risikos wird beobachtet, wenn mehrere Verwandte I. Grades bzw. Verwandte I. und II. Grades am Kolonkarzinom erkrankten, und Personen mit der Anamnese eines gynäkologischen Karzinoms oder ammakarzinoms bei nächsten Blutsverwandten. Diese Personen sollten bereits im Alter zwischen 30 und 40 Jahren in ein Screeningprogramm (jährliche Occultblutuntersuchung, rektal digitale Untersuchung, 3-5jährige Kolonoskopie) einbezogen werden, da deren Erkrankungsrisiko um das 2-3fache erhöht ist.

Kolorektale Karzinom- oder Adenomanamnese: Eine engmaschige endoskopische Kontrolle des gesamten Dickdarms ist bei diesen Patienten angezeigt. Patienten, welche in der Anamnese ein kolorektales Karzinom aufweisen, sind mit einem 3fach erhöhten Risiko belastet und sollten etwa im Abstand von einem Jahr (s. Kap. Nachsorge) einer Koloskopie unterzogen werden. Über eine Häufung von Brust-, Ovarial- und Dickdarmkarzinomen bei diesen Patienten wird berichtet. Tubuläre oder villöse Adenome sind mit einem erhöhten Karzinomrisiko behaftet und sollten abhängig vom Dysplasiegrad nach Abtragung derselben im Gesunden in 1-3jährlichem Abstand kontrolliert werden. Mit der Größenzunahme der Polypen steigt das Entartungsrisiko. In 25% ist mit weiteren Polypen zu rechnen. Villöse Polypen haben ein 8-10fach höheres Entartungsrisiko.

Colitis ulcerosa: Patienten mit einer Colitis ulcerosa – Anamnese von wenigstens 10 Jahren mit Ausnahme der ulcerösen Proctitis – bedürfen einer kolonoskopischen Kontrolle alle 1-2 Jahre, da deren Risiko, ein kolorektales Karzinom zu entwickeln, um das 30fache erhöht ist. Jede verdächtige Stelle ist zu biopsieren, neben ausgedehnten Stufenbiopsien der anscheinend unverdächtigen Schleimhaut, um Dysplasien auszuschließen.Muir-Torre-Syndrom: Autosomal dominant vererblich, Kombination von Talgdrüsentumoren und Karzinomen in inneren Organen. Dabei in über der Hälfte der Fälle kolorektale Karzinome, 60% proximal der rechten Flexur. Diese Patienten und ihre Verwandten sollten alle 3-5 Jahre kolonoskopiert werden.Familiäre juvenile Polyposis: Autosomal dominant vererbbar. Hamartome überwiegen im Kolon. Kolonoskopische Kontrolluntersuchungen ab dem Jugendalter, exakte Überwachungsrichtlinien nicht vorliegend.Peutz-Jaghers-Syndrom: Autosomal dominant vererbbar. Hamartome im gesamten Gastrointestinaltrakt und mukokutane Pigmentationen: 13fach höheres Risiko eines gastrointestinalen Malignoms, mittleresErkrankungsalter 35 Jahre. Überwachungsstrategien sollten den gesamten Gastrointestinaltrakt betreffen.Zustand nach Ureterosigmoidostomie: nach einem postoperablen Intervall von über 10 Jahren erhöhtes Karzinomrisiko, Sigmoidoskopie alle 2-3 Jahre empfohlen.Fiat-adenoma Syndrom, Colitis ulcerosa, Morbus Crohn und Zustand nach Polypetomie beziehungsweise nach Dickdarmkarzinomresektion.

3. Mäßiggradiges Risiko
Personen bei denen Verwandte II. Grades ein Kolonkarzinom vor dem 70. Lebensjahr entwickelten bzw. Personen mit insgesamt erhöhter Krebsinzidenz in der Familie. Eindeutige Empfehlungen sind hier nicht zu geben. Die Personen müssen auf das Risiko aufmerksam gemacht werden und sich individuell für die Vorsorgeuntersuchung entscheiden.

Prävention

Primärprävention
Unter Primärprävention versteht man die Identifizierung und das Ausschalten von Umweltfaktoren und Gewohnheiten, welche für das kolorektale Karzinom direkt verantwortlich sind.

Änderung der Ernährungsgewohnheiten
Balaststoffarme Kost sowie fettreiche kohlehydratreiche Diät mit Adipositas als Folge werden hypothetisch als ätiologische Faktoren des kolorektalen Karzinoms diskutiert. Eindeutig belegte epidemiologische Studien diesbezüglich liegen jedoch noch nicht vor. Empfohlen werden ausreichende Zufuhr von löslichen und unlöslichen Ballaststoffen, vor allem von Obst, Gemüse und Getreideprodukten. Ebenso die ausreichende Zufuhr von Vitamin C, E, Carotioiden, Kalzium, Selen, welche einerseits eine Schutzwirkung gegen Krebsradikale auf zellulärer Ebene ausüben, andererseits den Gehalt an freien Gallensäuren senken (Kalzium). Reduktion übermäßiger Fett- und Cholesterinzufuhr, Einschränkung von tierischem Eiweiß, Vermeiden von stark gegrilltem und geräuchertem Fleisch. Einschränkung des Alkohol- und Nikotinkonsums. Eine Einschränkung der täglichen Kalorienzufuhr im besonderen in Form von Fett zu betreiben und entsprechend reichlich Gemüse, Vollkorn, Getreideprodukte und vitaminreiche Kost zu sich zu nehmen, sowie den übermäßigen Genuß von alkoholischen Getränken, geräuchertem und mittels salz- oder nitritkonservierten Speisen einzuschränken, ist jedoch sicherlich zu empfehlen.

Sekundärprävention
Besteht in der Identifizierung von Hochrisikogruppen und der Ausschaltung beziehungsweise Entfernung präkanzeröser Läsionen (prophylaktische Polypektomie, Entfernen von Adenomen mit schwerer Dysplasie, kontinenzerhaltende Proktokolektomie bei der familiären adenomatösen Plypose oder bei der Colitis ulcerosa mit schweren Dysplasien). Bei Patienten mit erhöhtem Krebsrisiko (präkanzeröse Bedingungen) empfiehlt sich die totale Koloskopie um das 40. Lebensjahr. Nach inkompletter endoskopischer Abtragung von Adenomen ist eine kurzfristige Nachkontrolle innerhalb von 3 – 6 Monaten angezeigt. Bei hochgradiger Dysplasie oder Karzinom im Adenom, die nicht sicher im Gesunden reseziert wurden, muß chirurgisch vorgegangen werden. Eine Wiederholung nach 4 Jahren bei Adenomfreiheit des Kolons oder kompletter Entfernung eine solitären Adenoms, eine Wiederholung nach 2 Jahren bei kompletter Entfernung multipler Adenome sollte planmäßig durchgeführt werden.

Zusammenfassung

Fortschritte in den unterschiedlichen Forschungsgebieten des kolorektalen Karzinoms haben über Standardisierungen in den einzelnen Behandlungsstrategien zu einer deutlichen Verbesserung der Heilungsraten, zu einer Reduzierung der radikalen Chirurgie von der amputativen zur organerhaltenden Chirurgie und zu einer Verminderung der Morbidität und Letalität beigetragen.Eine der wesentlichen medizinischen und gesundheitspolitischen Aufgaben und Herausforderungen aller mit diesem Karzinomgeschehen befaßten Institutionen, Gesellschaften und Entscheidungsträger in Österreich, stellt die medizinisch sinnhafte und volkswirtschaftlich vertretbare, aber in nächster Zeit umzusetzende Notwendigkeit der Diskussion und Einführung von Primär- und vor allem Sekundärpräventionsmaßnahmen dar. Über Screeningprogramme von Gruppen ohne erhöhtem Risiko und solchen mit erhöhtem Risiko sollte es gelingen, über die dann mögliche breite Früherkennung einen weiteren wesentlichen und schon nachgewiesenen Schritt in Richtung Sterberatenreduzierung des Kolorektalkarzinoms zu setzen.

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